Werkverzeichnis Walter Kühne (1875-1956)

Ein Projekt anlässlich des Jubiläumsjahres 150 Jahre Walter Kühne

Walter Kühne um 1903,  vermutlich in Pankow, Berliner Str. 20, (Privatarchiv) Foto: unbekannt

Ein Leben für die Kunst in Jamlitz

Zum 150. Geburtstag des Künstlers Walter Kühne (1875–1956) widmet sich ein gemeinsames Projekt des Fördervereins Lieberose e.V., der Kunst und Kultur Jamlitz gemeinnützige UG sowie der Nachfahren des Jamlitzer Künstlerkreises der systematischen Aufarbeitung seines Lebenswerks. Kühne war nicht nur Maler und Grafiker, sondern auch der erste Künstler, der sich in Jamlitz niederließ:

Geboren in Berlin am 27. August 1875, kam er gemeinsam mit der Charlottenburger Malschule von Franz Lippisch Anfang des 20. Jahrhunderts erstmals nach Jamlitz. 1905 erwarb er ein Grundstück, worauf er zwei Jahre später ein Sommerhaus sowie das Gartenatelier errichtete – liebevoll „Pisspott“ genannt. Nach einem Umbau des Hauses im Jahr 1911 lebte und arbeitete er ab 1923 ganzjährig in Jamlitz, das bis zu seinem Tod 1956 sein Lebensmittelpunkt blieb.

Herzstück des Projekts ist die Erstellung eines Werkverzeichnisses, das erstmals einen systematischen Überblick über Kühnes künstlerisches Schaffen ermöglicht. Zu den weiteren Maßnahmen gehören u.a. die fotografische Erfassung und fachgerechte Archivierung seiner Werke sowie die Transkription handschriftlicher Notizen und Gedichte aus der Nachkriegszeit. 

Einige Einblicke zum Projekt wollen wir Ihnen auf dieser Seite vorstellen.

Ein Werkverzeichnis ist Fleißarbeit

Jedes Werk muss einzeln in die Hand genommen, vermessen, untersucht und beschrieben werden. Selbst kleine Details, wie die Signatur, geben Aufschluss: Sie findet sich meist als „W.K.“ in der Druckplatte, ist aber nicht immer handschriftlich ergänzt. Kühne variierte seine Signaturen – von „Walter Kühne“ über „W.K.“ bis hin zu „KUNO“, „-K-U-N-O-“ oder schlicht „Kuno“. Mitunter fehlt die handschriftliche Signatur ganz, gelegentlich ergänzte die Berliner Druckerei Felsing ihren eigenen Namenszug.

Alle erhobenen Daten werden in eine Datenbank eingetragen, zu jedem Werk entstehen Arbeitsfotografien, und schließlich wird das Material säurefrei archiviert. Letzteres ist ein zentraler Bestandteil des Projekts: Zahlreiche Arbeiten zeigen bereits heute Schäden durch unsachgemäße Lagerung, Handhabung oder minderwertiges Papier.

Trotz der akribischen Arbeit gibt es immer wieder Entdeckungen – etwa die Serie „Zwölf Original-Radierungen aus Cottbus und der Niederlausitz“. Nicht immer sind Titel so klar überliefert wie hier; häufig fehlen sie oder variieren zwischen den Drucken. Neben Radierungen finden sich satirische Skizzen, Farbproben mit Stabilostiften samt handschriftlichen Notizen zu ihrer Anwendung und viele Aufzeichnungen aus der Nachkriegszeit – Gedanken zu Politik, Gesellschaft, Kunst oder Gartenplanung.

All diese Dokumente werden im Rahmen des Projekts erfasst, transkribiert und ausgewertet – Schritt für Schritt entsteht so ein umfassendes, wissenschaftlich fundiertes Werkverzeichnis.

Walter Kühne, Reihe „Zwölf Original-Radierungen aus Cottbus und der Niederlausitz“, Verlag Albert Heine Cottbus, (Privatarchiv)

Papiere, die Walter Kühne, die Walter Kühne nach 1945 als Notizzettel und Malgrundlage genutzt hat.

Zeugnisse der Nachkriegszeit

Nach dem Krieg herrschte großer Papiermangel – und so griff Walter Kühne oft zu dem, was gerade verfügbar war: Speisenzettel oder Knäckebrotpapier des „VEB Erste Deutsche Knäckebrotwerke“ wurden zu Unterlagen für Skizzen und Notizen.

Doch woher stammten die Speisenzettel? Nach unseren Recherchen kamen sie höchstwahrscheinlich aus der ehemaligen SS-Küche, die auf dem enteigneten Teil von Kühnes Grundstück errichtet worden war – gebaut von „SS-Frontarbeitern“  aus dem sogenannten Holländerlager (vgl. Andreas Weigelt, Judenmord im Reichsgebiet. Lieberose: Außenlager des KZ Sachsenhausen, Berlin 2011, S. 22). Nach der Flucht der SS im Frühjahr 1945 und der Zerstörung seines Wohnhauses durch eine Brandbombe dürfte Kühne in der verlassenen SS-Küche nach Verwendbarem gesucht und die Papiere an sich genommen haben.

Der „VEB Erste Deutsche Knäckebrotwerke“ entstand nach dem Krieg aus den 1927 von Dr. Wilhelm Kraft gegründeten „Ersten Deutschen Knäckebrotwerken Dr. Wilhelm Kraft“ – zunächst in Berlin, später in Burg bei Magdeburg. Heute kennt man das Unternehmen Burger Knäcke GmbH + Co. KG mit dem Produkt „Burger – Das Landknäcke“.

In den 1950er Jahren kehrte Walter Kühne schließlich wieder zu klassischem Künstlerpapier zurück – doch die Notizzettel aus der unmittelbaren Nachkriegszeit bleiben stille Zeugen einer Zeit der Not und Improvisation.

Gedichte, Listen, Notizen und Rätsel

Da ein Großteil von Walter Kühnes Werk im Krieg verloren ging, ist jedes von ihm beschriebene Blatt von unschätzbarem Wert. Neben seinem grafischen Werk finden sich Reime, Balladen und Gedichte – etwa „Satans Wiederkehr“ oder die Ballade „Die wahrhaften Abenteuer des Malers Pe“, die er den Malern in der DDR widmete.

Auch zahlreiche Listen und Notizen sind erhalten – manche alltäglich, andere poetisch. 1949 etwa hält Kühne fest, was in seinem Jamlitzer Garten wachsen soll: Tomaten, Möhren, Buschbohnen – und notiert dazu: „Keinen Hirse anbauen. Er gedeiht gut im Sand, ist aber Vogelfraß ausgesetzt […].“ Zwei Jahre später entsteht eine Liste seiner „erwünschten Leckerbissen“, darunter Himbeersaft, guter Schnaps, Ölsardinen, Teegebäck, frisches Obst, Olivenöl und Backpflaumen.

Darüber hinaus begegnen uns zahlreiche Rätsel, die Kühne selbst erdacht hat – Kreuzworträtsel, thematische Aufgaben wie zur Odyssee, oder das Spiel „Aus einem Wort Viele“, bei dem er aus den Buchstaben eines Wortes neue Begriffe bildet. Oft ergänzt er diese Blätter mit kleinen Zeichnungen – Momentaufnahmen seines verspielten Geistes.

Walter Kühne, Rätsel, Mischtechnik auf Papier, 26.10.1955 (Privatarchiv)

Walter Kühne, o.T. (Venezianische Brücke mit Schiff im Hintergrund), 1905, Bleistift auf Papier, 30,2 x 43,4 cm (Privatarchiv) 

Ein Werkverzeichnis ist weit mehr als ein Archiv

Ein Werkverzeichnis ist ein lebendiges Arbeitsinstrument: Es wird fortlaufend ergänzt – etwa, wenn Menschen in der Region Werke Walter Kühnes erben und Informationen zur Herkunft, zum Wert oder zur Weitergabe von Arbeiten benötigen. Auch Nachfahren des Jamlitzer Künstlerkreises nutzen die Daten des Verzeichnisses aktiv: Leihgaben – wie z.B. an das Museums Schloss Lübben – werden künftig in die Datenbank eingespeist.

Zudem erfolgt die Auswahl von Bildern für Ausstellungen bisher manuell. Nach Fertigstellung des Projekts wird eine strukturierte Bilddatenbank zur Verfügung stehen, auf die Nachfahren, Museen und Forschende gleichermaßen zugreifen können. Ein Beispiel für den Nutzen aus dem Kontext des 2025 durch die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf durchgeführten Symposiums zum Thema „Künstlerkolonien und Politik“: Im Gemeinschaftsvortrag unserer Kunsthistorikerin und Nachfahrin des Jamlitzer Künstlers Franz Lippisch, Annette Krüger M.A. und der Nachfahrin Kühnes, Friederike Seiffert, floss der scharfsinnige Blick Walter Kühnes auf die gesellschaftlichen Entwicklungen seiner Zeit hierbei genauso ein, wie die Perspektiven anderer Künstlerinnen und Künstler aus Jamlitz.

Die systematische Erfassung schafft somit nicht nur Transparenz über den Werkbestand, sondern eröffnet neue Perspektiven für den Austausch zwischen privaten Besitzern, wissenschaftlicher Forschung und kultureller Öffentlichkeit.

Walter Kühnes Werk steht somit exemplarisch für das kulturelle Erbe der Region. Seine Geschichte ist Teil der Geschichte der Lausitz und bietet vielfältige Anknüpfungspunkte für Bildung, Vermittlung und kulturellen Austausch rund um die ehemalige Künstlerkolonie Jamlitz.

Das Werkverzeichnis Walter Kühne wird - inhaltlich differenziert - gefördert durch

Förderverein Lieberose e.V. Kooperationspartner